Antivirale Wirkung von pflanzlichen Extrakten –
Nachweis mit In-vitro-Zellkulturen gelungen
Lässt sich die Virusvermehrung tatsächlich durch pflanzliche Extrakte beeinflussen? Forschende des Fraunhofer-Translationszentrums für Regenerative Therapien am Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC und am Institut für Virologie und Immunbiologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg sind dieser Frage nachgegangen.
Schon lange werden bestimmte pflanzliche Extrakte und Naturstoffe als immunstärkend oder sogar heilungsfördernd bei verschiedenen Erkrankungen angesehen. Dazu zählen auch Erkrankungen durch Viren. Aber wie lassen sich solche Zusammenhänge untersuchen und mit möglichst geringem Aufwand geeignete Wirkstoffkandidaten für weiterführende Tests identifizieren? Forscher nutzen dazu heute z. B. Screeningverfahren, die »in vitro«, d. h. außerhalb eines lebenden Organismus, Aussagen über erwünschte oder unerwünschte Wirkungen auf biologische Zellen treffen können. Zum Einsatz kommen dabei standardisierte Zellkulturen, sodass die Ergebnisse vergleichbar und reproduzierbar sind.
Den Forschenden des Fraunhofer-Translationszentrums für Regenerative Therapien am Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC und am Institut für Virologie und Immunbiologie der Universität Würzburg stehen eine Vielzahl viraler Infektionssysteme zur Verfügung. Hier werden Zellen mit unterschiedlichen Viren infiziert und es wird analysiert, ob bestimmte Substanzen die Vermehrung von Viren hemmen. Diese Tests sind standardisierbar und kommen ohne Tierversuche aus. Damit können aussagekräftige Ergebnisse zügig erzielt werden. Die Zusammenarbeit beider Forschergruppen hat zur Entwicklung von sog. 3D-Zellkultur-Infektionsmodellen geführt, die sehr Patienten-nahe Infektionsstudien mit verschiedenen Viren ermöglichen.
Im Rahmen einer Forschungskooperation mit der Abteilung Research & Development Innovation der Evonik Operations GmbH wurden aktuell Analysen zur antiviralen Wirkung von Pflanzenextrakten durchgeführt. Basis waren Zelllinien, die für Untersuchungen von definierten viralen Infektionen etabliert sind. »Im ersten Schritt haben wir Toxizitätsanalysen der pflanzlichen Wirkstoffkandidaten durchgeführt, um festzustellen ob und in welchen Konzentrationen die Substanzen für die Zellkulturen verträglich sind«, erklärt Dr. Maria Steinke, Leiterin des Projekts am Fraunhofer-Translationszentrum für Regenerative Therapien. Für die anschließenden Tests zur Wirksamkeit gegen Viren wurden nur die als zellverträglich identifizierten Substanzen und Konzentrationen eingesetzt.
In der Studie kamen Herpes- und Masernviren zum Einsatz, die so modifiziert wurden, dass infizierte Zellen grün fluoreszieren. Substanzen, die eine Infektion durch Viren hemmen, führten also dazu, dass weniger Zellen unter UV-Licht grün leuchteten. Die Anzahl infizierter Zellen in den Kulturen ließ sich so über eine automatisierte Zählung bewerkstelligen.
In den antiviralen Versuchen wurden die Zellsysteme mit neun Wirkstoffkandidaten versetzt und die Wirkung auf das Infektionsgeschehen untersucht. Die erhobenen Daten zeigen, dass ein Gemisch aus Extrakten schwarzer Johannisbeeren und Heidelbeeren mit hohem Gehalt an Anthocyanen (Healthberry® 865) und die entsprechenden Einzelextrakte in vitro antivirale Eigenschaften gegenüber Masern- und Herpesviren besitzen. „Wir haben gemeinsam mit Herrn Prof. Dr. Bodems Team schon für viele Unternehmen solche Wirksamkeitstests durchgeführt, doch sehr oft lassen sich die eigentlich erhofften Wirkungen kaum oder gar nicht nachweisen. Deshalb kam für uns die erkennbare antivirale Wirkung der Substanzen in dieser Studie schon fast überraschend“, berichtet Dr. Steinke. Beiden Forschergruppen gelang darüber hinaus die Identifikation der aktiven, antiviralen Komponenten in den Extrakten. Dies ist auch für eine Wirk- oder Inhaltsstoffentwicklung ein essenzieller Schritt. Die Daten zeigen auch, dass die Naturstoffe konventionelle antivirale Therapien ergänzen können.
„Insgesamt hat unsere Studie sehr interessante Ergebnisse zur Wirksamkeit von Pflanzenextrakten auf Viren in vitro gezeigt“, so Prof. Bodem. „Denn einige der untersuchten Stoffe hemmen die Infektion mit Masernviren, aber nicht das zur Impfung verwendete Masernimpfvirus. Somit wäre eine Impfung zusätzlich zu einer vorbeugenden Behandlung möglich, sollte es gelingen ein Therapeutikum auf der Basis der Pflanzeninhaltsstoffe zu entwickeln. Durch die Identifikation der aktiven Wirkstoffe in den Extrakten ist es gelungen, einen ersten Schritt in diese Richtung zu gehen.“
Die Zusammenarbeit der Arbeitsgruppen von Prof. Bodem an der Universität Würzburg und Dr. Steinke am Fraunhofer-Translationszentrum für Regenerative Therapien hat damit auch einen Grundstein für den Einsatz von Patienten-nahen, zellbasierten 3D Modellen gelegt. Die in der aktuellen Studie veröffentlichten Ergebnisse zur Wirksamkeit von Pflanzeninhaltsstoffen gegen humanpathogene Virenstämme stimmen jedenfalls zuversichtlich, dass mit Hilfe von In-vitro-Testverfahren neue Anwendungsfelder für bereits zugelassene Wirkstoffe schneller als bisher identifiziert werden können. In Zukunft könnten pflanzliche Extrakte und Wirkstoffe alleine oder in Kombination mit gängigen Medikamenten neue Optionen in antiviralen Therapien eröffnen.
Weitere Informationen zur veröffentlichten Studie:
Ansprechpartner:
Dr. Maria Steinke
Telefon +49 931 31-80720
maria.steinke@isc.fraunhofer.de
Fraunhofer-Translationszentrum für Regenerative Therapien am Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC, Würzburg
www.isc.fraunhofer.de
Prof. Dr. Jochen Bodem
Telefon +49 931-31-81509
jochen.bodem@vim.uni-wuerzburg.de
Institut für Virologie und Immunbiologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg
www.virologie.uni-wuerzburg.de
Literaturzitat:
Sivarajan R, Oberwinkler H, Roll R, König EM, Steinke M, Bodem J. BMC Complementary Medicine and Therapies 22:181, 2022
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